Aufarbeitungskommission legt Abschlussbericht zu Fällen sexualisierter Gewalt in der König-Christus-Gemeinde in Oesede (Evangelisch- lutherische Landeskirche Hannovers) in den 1970er Jahren vor

(PM) Die unabhängige Aufarbeitungskommission Oesede hat gestern (27.02.2024) die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlicht. Sie hat Fälle sexualisierter Gewalt, begangen an Kindern und Jugendlichen, durch einen Diakon in Ausbildung in der König-Christus-Gemeinde Oesede in den 1970er und den Umgang mit Betroffenen durch kirchliche Instanzen ab den 2010er Jahren untersucht. Ausgangspunkt ihrer Beauftragung war, dass eine Betroffene im Oktober 2021 unter dem Pseudonym Lisa Meyer die an ihr durch den Diakon verübte sexualisierter Gewalt in den Jahren 1973-1974 öffentlich gemacht habe. Die juristische Aufarbeitung hat zu den Ergebnissen geführt,

  • dass es neben der Betroffenen Lisa Meyer mindestens 7 weitere Betroffene gegeben hat, die Opfer einer Vielzahl von Taten sexualisierter Gewalt des Diakons geworden sind,
  • dass neben Lisa Meyer in den 1970er Jahren mindestens drei weitere der vorgenannten Betroffenen den Verantwortungsträger*innen bekannt waren,
  • dass die Tatsache, dass der Diakon sich Taten sexualisierter Gewalt schuldig gemacht habe, an keiner Stelle ausdrücklich dokumentiert worden ist,
  • dass die Vertuschung dieser Taten sowohl von hauptamtlichen als auch von ehrenamtlichen Verantwortungsträger*innen mitgetragen wurde,
  • dass es bis zur Entlassung des Diakons neun Monate dauerte, gerechnet von dem Zeitpunkt der ersten Kenntnisnahme eines derartige Falls durch den zuständigen Gemeindepastor,
  • dass der Diakon in diesen neun Monaten von seinen Aufgaben, die ihm den Umgang mit Kindern und Jugendlichen ermöglichten, nicht entbunden worden war.
  • dass die Verantwortungsträger*innen den bekannten Betroffenen keinerlei Beachtung geschenkt noch ihnen Unterstützung angeboten oder sonstige Hilfeangebote gemacht haben,
  • dass Folgetaten hätten vermieden werden können.

Die sozialwissenschaftliche Aufarbeitung verantwortet Dr. Christa Paul, Professorin im Studiengang Soziale Arbeit der NBS Hamburg. Dr. Christa Paul führte eine Interviewstudie durch. Interviewt wurde die Betroffene Lisa Meyer sowie Personen, die ab dem Jahr 2010 aufgrund einer beruflichen oder ehrenamtlichen (kirchlichen) Tätigkeit mit der sexualisierten Gewalt in Oesede befasst waren. Ein Ergebnis der sozialwissenscha2lichen Aufarbeitung ist, dass es sich bei dem Unterlassen der Information der König-Christus-Gemeinde Oesede im Jahr 2010 darüber, dass sich eine Betroffene gemeldet habe, um ein erhebliches Versäumnis des Landeskirchenamtes Hannover gehandelt hat, weil eine zeitnahe Aufarbeitung deswegen unterblieben ist. Das Landeskirchenamt hätte wissen können und müssen, dass dann, wenn ein Fall sexualisierter Gewalt an Kindern und/oder Jugendlichen bekannt wird, mit weiteren Fällen zu rechnen ist. Die Aufarbeitungskommission weist darauf hin, dass eine Aufarbeitung im Jahr 2010 mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine weitaus bessere Ergebnisqualität
gehabt hätte, weil etliche der involvierten Personen seither verstorben sind.

 

Darüber hinaus hat die sozialwissenscha2liche Untersuchung ergeben:

  • die „Ansprechstelle Sexualisierte Gewalt“ des Landeskirchenamtes Hannover war bis in die 2020er Jahre mit deutlich negativen Folgen für Betroffene qualitativ und quantitativ personell unzureichend ausgestattet,
  • nachdem die Betroffene Lisa Meyer sich im Jahr 2020 entschieden hat, die ihr widerfahrene sexualisierte Gewalt öffentlich zu machen, waren kirchliche hauptberufliche und ehrenamtliche Instanzen der Kreis- und Gemeindeebene in Oesede und Georgsmarienhütte involviert. Die insoweit unerfahrenen und überforderten Handelnden erhielten mit deutlich negativen Folgen dabei durch die Leitungsebene des Landeskirchenamtes keinerlei Unterstützung,
  • die von sexualisierter Gewalt durch einen Kirchenmitarbeiter betroffene Lisa Meyer hat bis in die Gegenwart mit der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers immer wieder negative Erfahrungen gemacht. Diese führten dazu, dass sie fortwährend einer starken emotionalen Belastung ausgesetzt war.

 

Den Abschluss der Aufarbeitung bilden Empfehlungen, die die Kommission aus den Ergebnissen der juristischen und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen abgeleitet hat.