Lagebild „Organisierte Kriminalität in Niedersachsen 2021“
(PM)Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, und die Niedersächsische Justizministerin, Dr. Kathrin Wahlmann, haben heute (08.12.2022) gemeinsam das Lagebild der Polizei und der Justiz „Organisierte Kriminalität in Niedersachsen 2021“ vorgestellt.
Innenminister Pistorius sagt: „Die Organisierte Kriminalität stellt sich zunehmend professioneller und digitaler auf – bei einem gleichzeitig hohen Maß an Skrupellosigkeit. Die Täterinnen und Täter gehen arbeitsteilig und grenzüberschreitend vor, sie arbeiten in einem konspirativen, hochgradig abgeschotteten Umfeld und scheuen weder vor Gewalt, noch vor Bedrohungen zurück. Die Delikte reichen von Betrug und Diebstahl bis hin zu schwerster Kriminalität und sogar Tötungsdelikten. Mit der Offenlegung von Täterkommunikation, insbesondere über die Entschlüsselung kryptierter Endgeräte, konnte die Polizei der Organisierten Kriminalität einen Schlag versetzen. Die Ermittlerinnen und Ermittler haben tiefe Einblicke in die ungefilterte Kommunikation diverser Gruppierungen bekommen und konnten viele Ermittlungsverfahren einleiten – so viele wie nie zuvor innerhalb eines Jahres in Niedersachsen! Auch aufgrund dieses Anstiegs haben wir im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich mehr Personal in diesem Bereich eingesetzt und die Verfahren haben schneller zu Ermittlungserfolgen geführt. Die Drogenkriminalität bildet weiterhin den Schwerpunkt der Taten. Auch kriminelle Clans, das wissen wir bereits aus den Vorjahren, sind sehr aktiv im Bereich der Organisierten Kriminalität. Wir werden deshalb alle Straftaten dieser Gruppen gemeinsam mit der Justiz weiterhin sehr niedrigschwellig bekämpfen. Unsere Null-Toleranz-Strategie setzt gerade bei Clankriminalität bereits bei Verkehrsverstößen und ähnlichen Sachverhalten schon im Bereich der Ordnungswidrigkeiten an.“
Zu dem aktuellen Tatschwerpunkt der Geldautomatensprengungen sagt der Innenminister: „Die Rekordzahl von mehr als 60 Geldautomatensprengungen in diesem Jahr allein in Niedersachsen zeigt: Die weiterhin unzureichende Sicherungstechnik der meisten Geldautomaten in Deutschland lockt Kriminelle geradezu an! Wir haben konkrete Erkenntnisse zu den Tätergruppierungen, die insbesondere in die Niederlande führen. In einigen Nachbarländern, gerade in den Niederlanden, gibt es kaum noch vergleichbare Taten. Die mögliche Beute wird dort bei einer Sprengung durch Verklebungs- oder Verfärbungstechnik unbrauchbar gemacht. Die Betreiber der Geldautomaten sind deshalb in der Pflicht, das Sprengen von Automaten durch technische Maßnahmen so unattraktiv wie möglich zu machen. Im Rahmen der Herbst-IMK in München haben wir gemeinsam beschlossen, dass die Banken und Sparkassen der IMK und dem Bundesinnenministerium bis April 2023 wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit von Geldautomaten vorlegen. Nächtliche Schließungen von Geldautomaten können nur eine Teillösung für das Problem sein – außerdem machen sie die Verfügbarkeit von Bargeld, gerade im ländlichen Raum, noch schwerer. Die Schließungen sind aus meiner Sicht allenfalls kostengünstige, erste Schritte. In Niedersachsen bereiten wir deshalb gemeinsam mit dem Justizministerium eine entsprechende Bundesratsinitiative vor, um Banken und Sparkassen entsprechend gesetzlich zu verpflichten, falls die Sicherung nicht freiwillig oder nur unzureichend geschieht. Durch die inzwischen bei diesen Taten fast ausschließlich genutzten Festsprengstoffe werden Menschenleben akut gefährdet, das werden wir so nicht weiter hinnehmen.“
Justizministerin Dr. Wahlmann betont: „Bei der Strafverfolgung geht die niedersächsische Justiz im Bereich der Automatensprengungen neue Wege. Am 1. Dezember hat eine neue Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück die Arbeit aufgenommen. Diese Zentralstelle ist nun landesweit zuständig für jeden neuen Fall eines gesprengten Geldautomaten. Diese Zentralisierung ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt, um Strukturen und Hintergründe dieser Taten zu erkennen. Aber allein die Fortschritte bei der Strafverfolgung werden nicht reichen. Die Erfahrung zeigt uns: Sitzt ein Täter in Haft, so macht sich der nächste ans Werk. Die Banden haben offenbar keine Probleme damit, neue Mitglieder zu rekrutieren. Deshalb ist es unerlässlich, dass nun die Banken und Sparkassen präventiv tätig werden, um die enormen Gefahren durch die Sprengungen zu verhindern. Je schneller, desto besser, bevor noch jemand ernsthaft zu Schaden kommt. Die Zahl der Sprengungen steigt und steigt. Mit über 60 Sprengungen im Jahr 2022 haben wir bereits jetzt doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2015.“
Zu einem weiteren Schwerpunkt des Lagebildes – der Betäubungsmittelkriminalität – sagt Justizministerin Dr. Wahlmann: „Die Erkenntnisse aus entschlüsselten kryptierten Endgeräten haben zu zahlreichen neuen Verfahren im Bereich der Rauschgiftkriminalität geführt. So wurden zum Beispiel allein in den EncroChat-Verfahren ca. 1,4 Tonnen Cannabisprodukte, 36,5 Kilogramm Kokain und über 56,5 Kilogramm synthetische Drogen sichergestellt. Das ist eine bis dahin ungeahnte Größenordnung. Die Überwachung und Auswertung kryptierter Täterkommunikation ist daher auch in Zukunft von herausragender Bedeutung für die Strafverfolgungsbehörden. Die Rechtsprechung ist dabei auf der Seite der Ermittlerinnen und Ermittler. Der Bundesgerichtshof hat den Streit über die Verwertbarkeit der EncroChat-Daten vorläufig beendet, indem er in einer umfassend begründeten Entscheidung die Verwertbarkeit bejaht hat.“
Wesentliche Inhalte des Lagebildes
Die niedersächsische Polizei führte im Jahr 2021 im Auftrag niedersächsischer Staatsanwaltschaften 78 Ermittlungsverfahren (Vorjahr 58) durch, 12 weitere Ermittlungskomplexe wurden von den Bundesbehörden (BKA, Bundespolizei und Zoll) bearbeitet (Vorjahr 10).
Bei diesen 78 gemeldeten Verfahren ging es zum größten Teil um den Handel mit oder den Schmuggel von Betäubungsmitteln (52 Verfahren). Weitere Schwerpunkte der Ermittlungen lagen in den Bereichen der Eigentumskriminalität (9 Verfahren) und der Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben (8 Verfahren).
Insgesamt wurde in Bezug auf alle in Niedersachsen geführten Verfahren (einschließlich der Bundesbehörden) gegen 652 Tatverdächtige (Vorjahr 520) aus 49 verschiedenen Staaten ermittelt. Tatverdächtige deutscher Nationalität stellten dabei mit 296 Personen den größten Anteil, gefolgt von türkischen (62) und russischen (40) Staatsangehörigen.
Der hochgerechnete Gesamtschaden der Organisierten Kriminalität (OK) lag im Jahr 2021 bei knapp 167 Mio. Euro. Insgesamt konnten allein im Bereich der OK Vermögenswerte von ca. 4 Mio. Euro vorläufig gesichert werden. Vielfach war die „Verschiebung“ von Vermögenswerten ins Ausland Ursache dafür, dass hier Vermögensermittlungen ins Leere liefen. In Bezug auf die Gesamtkriminalität konnten im Jahr 2021 insgesamt fast 48 Mio. Euro vorläufig gesichert werden, was etwa dem Wert des Jahres 2020 entspricht. Die Intensivierung der Vermögensabschöpfung im OK-Bereich bei Justiz und Polizei muss daher konsequent fortgesetzt und weiter optimiert werden.
Die mit der Verfolgung der organisierten Kriminalität befassten Spezialabteilungen der niedersächsischen Staatsanwaltschaften haben im Berichtszeitraum 2021 insgesamt 113 Ermittlungsverfahren der Organisierten Kriminalität bearbeitet. Die Abweichung zur Zahl der polizeilichen Verfahren (78) erklärt sich dadurch, dass bis zur endgültigen gerichtlichen Erledigung ein zeitlicher Überhang entsteht. Die Verfahren lagen schwerpunktmäßig im Bereich des Rauschgifthandels (61%); es folgen Delikte der Eigentumskriminalität (17%) und der Wirtschaftskriminalität (10%).
Von den niedersächsischen Gerichten wurden im Jahr 2021 insgesamt 45 Strafverfahren bearbeitet, in denen insgesamt 93 Angeklagte verurteilt worden sind. Im Jahr 2020 waren es 33 beendete gerichtliche Verfahren mit 105 Verurteilten. Der Durchschnittswert der verhängten Freiheitsstrafen betrug 3,99 Jahre; ein Trend zu höheren Strafen war feststellbar, insbesondere lagen weniger Strafen im bewährungsfähigen Bereich (2021: 29,1 %; 2020: 37,6%). Die höchste mitgeteilte (Gesamt-)Freiheitsstrafe belief sich auf neuneinhalb Jahre. Im Bereich der Vermögensabschöpfung haben die Gerichte mit insgesamt angeordneten Einziehungen von ca. 12,3 Mio. Euro den Vorjahreswert von ca. 6,5 Mio. Euro fast verdoppelt.
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